12-Stunden-Tag: Ein Faktencheck

Mit ihrem Initiativantrag vom 15. Juni 2018 nimmt sich die Regierung das Thema Arbeitszeit vor. Sie soll flexibler werden, zum Vorteil der Betriebe und der Beschäftigten, so die Ansage. Doch was ist konkret geplant? Unser Faktencheck zeigt: Die Arbeitszeitanpassung an die Auftragslage wird leichter. Aber die ArbeitnehmerInnen steigen deutlich schlechter aus.

  • ArbeitnehmerInnen mit Gleitzeit werden in Zukunft um Überstundenzuschläge umfallen
  • Sie sind weniger vor überlangen Arbeitszeiten geschützt.
  • Beruf, Familie und Freizeit werden sie künftig noch schwerer unter einen Hut bringen.
  • Sie können ihre Arbeitszeiten weniger planen und müssen im Extremfall den Beruf aufgeben.

AK Direktor Christoph Klein dazu: „Der Gesetzesentwurf verblüfft darin, wie radikal er ist. Der 12-Stunden-Tag und die 60-Stunden-Woche werden plötzlich zum Normalfall.“

Sind 60-Stunden-Wochen in Zukunft die Regel oder bleiben sie Ausnahme?

Die Regierung behauptet, 12 Stunden am Tag, fünf Mal pro Woche, das bleibt die Ausnahme. Der Gesetzesentwurf erlaubt aber durchaus, dass 60-Stunden Wochen zum Normalfall werden:

Es gilt zwar weiter die Normalarbeitszeit mit 8 Stunden am Tag und 40 Stunden in der Woche. Aber die Arbeitszeit plus Überstunden (Höchstarbeitszeit) war bisher mit 10 Stunden am Tag und 50 Stunden in der Woche begrenzt. In gesetzlich genau geregelten Fällen waren als Ausnahme schon bisher 12 Stunden am Tag und 60 Stunden in der Woche möglich.
Dieser gesetzliche Rahmen wird jetzt einfach pauschal auf 12 Stunden am Tag und 60 Stunden in der Woche angehoben. Das passiert nicht auf freiwilliger Basis, siehe unten.

Der Arbeitgeber kann jederzeit verlangen: „Heute bleibst du 12 Stunden da, in dieser Woche brauchen wir dich 60 Stunden.“ Denn anders als bisher braucht er dazu keine Zustimmung des Betriebsrats, muss keine schweren wirtschaftlichen Gründe dafür vorweisen und braucht dafür keine arbeitsmedizinische Begutachtung. 

Sind 12-Stunden-Tage freiwillig?

De facto haben ArbeitnehmerInnen keine Wahl. Die Arbeitgeber werden sich zukünftig an dem neuen gesetzlichen Rahmen orientieren und von ihren MitarbeiterInnen die Bereitschaft dazu erwarten: 12 Stunden am Tag, 60 Stunden in der Woche.

Wer ablehnt – und das sagt uns unsere Beratungspraxis und eigentlich schon der Hausverstand – muss Angst um seinen Arbeitsplatz haben. Denn man müsste zu einem legalen Arbeitszeitmodell Nein sagen und riskiert einen Rauswurf.

Noch dazu würde mit dem neuen Gesetz die Beweislast umgekehrt: Nach geltendem Recht muss der Arbeitgeber begründen, warum die 11. und 12. Arbeitsstunde nötig ist. In Zukunft müssen die ArbeitnehmerInnen beweisen, dass sie berücksichtigungswürdige Gründe gegen diese Überstunden haben.

10 Stunden am Tag können angeordnet werden, die 11. und 12. Stunde kann man ablehnen. Stimmt das?

Das Problem: Im Arbeitsrecht gilt für ArbeitnehmerInnen die grundsätzliche Verpflichtung zur Überstundenleistung. Überstunden können nur in begründeten Fällen abgelehnt werden. Wer ablehnt, riskiert die fristlose Entlassung. Erst im Nachhinein prüft das zuständige Gericht, ob die Ablehnung berechtigt war. Da ist der Job schon weg.

Was gilt als Ablehnungsgrund für die 11. und 12. Überstunde am Tag?

Das Ablehnungsrecht, wie es vorgesehen ist, gilt nur bei „überwiegenden persönlichen Interessen“. Was ist wichtiger: Dass ein Arbeitnehmer in die Physiotherapie-Stunde soll und seine Kollegin ihre Kinder abholen muss, oder die wirtschaftlichen Gründe des Arbeitgebers? Das ist in diesem Entwurf überhaupt nicht ausformuliert. Sogar, ob Kinderbetreuung darunter fällt, ist keine sichere Sache.

Das heißt: Was als wichtiges persönliches Interesse anerkannt wird, hängt vom guten Willen des Arbeitgebers ab oder muss im Konfliktfall vom Gericht entschieden werden. Für ArbeitnehmerInnen bietet diese Formulierung keinerlei Rechtsicherheit. Und sie lässt einen sehr großen Spielraum für die Entscheidung des Gerichts.

BEISPIEL

Sabine H. muss um 16  Uhr weg, nach fast 10 Stunden Arbeit, um ihre Kinder vom Hort abzuholen. Das heißt: Ein Teil ihrer Arbeit, die ihr Chef lieber heute noch erledigt hätte, muss bis morgen liegen bleiben. Er fordert: „Bleib heute 12 Stunden. Die wirtschaftlichen Interessen der Firma sind wichtiger, deine Kinder kann auch die Oma abholen.“ Sabine hat jetzt 3 Optionen:

  • Sie fügt sich dem Willen des Arbeitgebers – unfreiwillig.
  • Sie lehnt die Überstunden trotzdem ab, vielleicht auch mehr als einmal. Weil sie damit aus Sicht des Arbeitgebers gegen ihren Arbeitsvertrag verstößt, verliert sie früher oder später ihren Job. Welche Interessen denn tatsächlich wichtiger waren – die wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers oder die Kinderbetreuungspflichten – das entscheidet erst das Gericht, Monate bis Jahre später. Ihr Arbeitsplatz ist dann leider schon lange weg.
  • Im harmlosesten Fall lehnt sie ab und der Chef akzeptiert das. Aber Sabine ist jetzt immer die, die negativ auffällt, weil sie nicht länger bleiben kann. Der neue Standard ist schließlich 12 Stunden.

Bekomme ich auch in Zukunft Überstundenzuschläge?

Angeordnete Überstunden bei fixen Arbeitszeitmodellen müssen nach wie vor samt Zuschlägen bezahlt werden.

Hart getroffen sind aber all jene ArbeitnehmerInnen mit einer Gleitzeitvereinbarung, s. unten.

Ich arbeite Gleitzeit – verliere ich meine Überstundenzuschläge?

Ja. Eine Million Menschen in Österreich, die Gleitzeit arbeiten, könnten ganz massiv draufzahlen:

  • Derzeit gilt: Bei Gleitzeit ist die 9. und 10. Arbeitsstunde am Tag keine Überstunde (wie das bei fixen Arbeitszeitmodellen der Fall wäre), sondern kann innerhalb einer fixen Periode zum Gleiten benutzt werden. Die 11. und 12. Überstunde am Tag – zum Teil ja jetzt schon zulässig – ist aber mit mindestens 50% Zuschlag abzugelten.
  • In Zukunft gibt es die Überstundenzuschläge für die 11. und 12. Stunde nicht mehr. Sie werden zu normalen Gleitstunden, die 1:1 abgegolten werden. Der bisher zwingend geltende 50%-Zuschlag geht in den meisten Fällen verloren.
MEHR INFOS

Was gilt bei Gleitzeit jetzt – und wie würde das in Zukunft ausschauen? Eine detaillierte Einschätzung unserer ExpertInnen können Sie hier nachlesen!

Es ist also zu befürchten, dass für mehr und mehr Arbeitsverhältnisse eine solche Gleitzeitvereinbarung getroffen wird. Die kann ein Arbeitnehmer zwar theoretisch ablehnen, praktisch wird das aber harte Konsequenzen haben bzw. er bekommt einfach den Job nicht.

Was mit geltenden Gleitzeitvereinbarungen passiert, steht in den Sternen. Auf Dauer werden sie wohl durch neue – schlechtere – ersetzt werden.

Ich habe einen All-In-Vertrag – was bedeutet das neue Modell für mich?

Der 12-Stunden-Tag bzw. die 60-Stunden-Woche bedeutet für Sie: Mehr arbeiten fürs gleiche Geld. Denn: Bei einem All-In-Vertrag vereinbart man einen Pauschallohn, mit dem auch die Überstunden abgegolten werden. Solange der Stundenlohn den Mindestlohn nicht unterschreitet, ist das leider völlig legal.

Aber es gibt ja auch jetzt schon viele ArbeitnehmerInnen, die manchmal bis zu 12 Stunden arbeiten müssen. Was ist der Unterschied zur neuen Regelung?

In Betrieben mit Betriebsrat ist es bereits heute erlaubt, bis zu 12 Stunden am Tag und bis zu 60 Stunden pro Woche zu arbeiten – aber nur in Ausnahmefällen und unter strengen Auflagen:

  • Besonders hoher Arbeitsbedarf
  • Verhinderung eines hohen wirtschaftlichen Nachteils

Übersetzt aus dem Juristendeutsch: Es muss in der Firma Feuer am Dach sein!

Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats fällt mit dem neuen Gesetz, der Arbeitgeber kann 12-Stunden-Tage auch einseitig anordnen. Auch die Bindung an spezielle Gründe und die ersatzweise Zustimmung des Arbeitsmediziners bzw. der Arbeitsmedizinerin, wenn es keinen Betriebsrat gibt, fallen im neuen Gesetz weg.

ACHTUNG! Zuschläge können wegfallen

In Betrieben mit bestehenden Betriebsvereinbarungen zur 11. und 12. Stunde wurden oft gute Zuschläge für ArbeitnehmerInnen ausgehandelt (z.B. 100% Zuschlag statt 50%) – sie werden wohl so nicht bestehen bleiben.

Viele erhoffen sich vom 12-Stunden-Tag im Gegenzug lange Freizeitblöcke. Ist das garantiert?

Nein, leider nicht. Die neue Regelung ermöglicht ja ausdrücklich auch 60-Stunden-Wochen, und das durchaus auch wochenlang hintereinander. Die einzige Grenze setzt eine EU-Richtlinie: Mit durchschnittlich 48 Stunden Wochenarbeitszeit über 4 Monate gerechnet.

Grundsätzlich werden diese Überstunden in Geld abgegolten. Zeitausgleich bekommt man nur, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer das beide vereinbaren wollen. ArbeitnehmerInnen können sich die Form der Abgeltung nicht einfach aussuchen und das neue Gesetz gibt dazu auch keinerlei Wahlmöglichkeit.

Ob es im Anschluss an Überstundenmarathons also auch längere Freizeitphasen gibt, hängt ausschließlich vom guten Willen des Arbeitgebers ab. Die ArbeitnehmerInnen haben darauf kein verbrieftes Recht und können baldigen Zeitausgleich juristisch nicht durchsetzen.

Kommt die 4-Tage-Woche?

Die Möglichkeit einer 4-Tage-Woche gibt es gesetzlich bereits seit über 20 Jahren. Es geht also jetzt schon, dass Montag bis Donnerstag je 10 Stunden gearbeitet wird und der Freitag frei ist. An den vier Arbeitstagen dürfen auch bereits jetzt Überstunden bis zu 12 Stunden täglich gemacht werden.

Stellt sich die Frage, warum die 4-Tage-Woche dann nicht bereits verbreiteter ist? Die einfache Antwort: Arbeitgeber lassen solche Modelle kaum zu. Auch in der neuen Gesetzesvorlage kommt die 4-Tage-Woche nicht vor, die ArbeitnehmerInnen haben nach wie vor kein Recht darauf

Kann ich verlässlich mein Zeitguthaben innerhalb einer bestimmten Zeit konsumieren?

Nein, hier gibt es leider Verschlechterungen. Bisher musste am Ende einer Durchrechnungsperiode klar Schiff gemacht werden: Übergroße Zeitguthaben wurden abgebaut.

Jetzt ist geplant, dass man Zeitguthaben mehrmals in den nächsten Durchrechnungszeitraum verschieben kann. Im Klartext: Die ArbeitnehmerInnen müssen Zeitguthaben unter Umständen lange vor sich herschieben, bis die ArbeitgeberInnen endlich Zeitausgleich zustimmen. Bei notorisch unterbesetzten Stellen verschiebt sich die Erholung damit auf den St. Nimmerleinstag.

Wer Minusstunden stehen hat, etwa weil er oder sie zu wenige Dienste zugeteilt bekommen hat, steht dann immer mehr in der „Zeitschuld“ beim Arbeitgeber. Die Beschäftigten können aber überhaupt nicht planen, wann die Stunden wieder aufgebaut werden dürfen. Mitbestimmung, Flexibilität und gleichberechtigtes Miteinander schauen anders aus.

Quelle: AK Wien

 

Informationen zum 12-Stunden-Tag und zur 60-Stunden-Woche

Liebe Kollegin,Lieber Kollege,

die Regierung hat letzten Donnerstag ohne Zeit für Begutachtung ihren Plan zur Einführung des 12-Stunden-Arbeitstages und der 60-Stunden-Arbeitswoche im Parlament eingebracht. Nach einer ersten Durchsicht des Gesetzentwurfes steht fest: seine Realisierung würde schwerwiegende Folgen für die Gesundheit, das Einkommen und das Familienleben aller ArbeitnehmerInnen in Österreich haben.

Ich habe schon Donnerstagabend in der ZIB 2 im ORF klargemacht, was wir von dieser Vorgangsweise halten. Wir setzen uns gegen diesen Angriff auf die Lebensqualität und Gesundheit von arbeitenden Menschen zur Wehr. Dazu werden wir Widerstand in den Betrieben und in der Öffentlichkeit organisieren. Eine Ersteinschätzung der GPA-djp kannst du unter folgendem Link abrufen:

Eine Ersteinschätzung der GPA-djp

Unwahrheit: Es hat nie eine Sozialpartnervereinbarung zur „Arbeitszeitflexibilisierung“ gegeben. Das ist die Unwahrheit. Wahr ist, dass bis Juni 2017 über eine ganze Reihe von Forderungen der Arbeitgeber geredet wurde. Über die Forderungen der ArbeitnehmerInnenseite wurde trotz zahlreicher Gespräche nicht verhandelt. Genau deshalb hat es am Ende keine Sozialpartnervereinbarung gegeben. Von einer Einigung kann daher keine Rede sein.

Gewinnmaximierung statt Arbeitnehmerschutz: Geht es nach der Regierung, wird der 12-Stunden-Tag von der Ausnahme zum Regelfall. Bisher sind 12-Stunden-Tag und 60-Stunden-Woche an das Vorliegen bestimmter Voraussetzungen gebunden (Verhinderung eines wirtschaftlichen Nachteils). Im Wesentlichen geht es darum, den Betrieb vor Schaden zu bewahren. Der Arbeitgeber muss die Voraussetzungen nachweisen, daher ist 12/60 die Ausnahme geblieben. Künftig soll 12/60 aber an keine Voraussetzungen gebunden sein. Der Arbeitgeber kann es anordnen, wann immer er will. Er kann sogar damit kalkulieren, nur um die Gewinnspanne zu erhöhen.

Der Arbeitgeber sitzt auf dem längeren Ast: Freiwilligkeit im Arbeitsrecht ist ein sehr relativer Begriff. Wenn der Arbeitgeber einen Wunsch äußert, dem ArbeitnehmerInnen nicht nachkommen, sind in der Praxis vielfältige Nachteile zu erwarten – von Nichtberücksichtigung bei Beförderungen bis zu Kündigung, im schlimmsten Fall Entlassung, wenn man sich den Wünschen der Arbeitgeber wiederholt widersetzt. Im Gesetzesentwurf ist lediglich ein Ablehnungsrecht aus „überwiegenden persönlichen Interessen“ enthalten, von Freiwilligkeit ist keine Rede.

Freizeit gibt’s nur, wenn Auftragsflaute herrscht: Auch die Darstellung, dass ArbeitnehmerInnen ihre erworbenen Freizeitansprüche konsumieren können, wann sie wollen, ist realitätsfremd. Freizeit kann nach Regierungsplänen nur konsumiert werden, wenn der Arbeitgeber zustimmt. Das wird in vielen Fällen nur dann sein, wenn gerade nichts los ist – und nicht dann, wenn der/die ArbeitnehmerIn freie Tage braucht.

Überstundenauszahlung wird auf den Sankt-Nimmerleinstag verschoben, Zuschläge fallen weg: Die Behauptung, dass Überstundenzuschläge erhalten bleiben, ist eine Nebelgranate, weil gleichzeitig von der Ausweitung der Durchrechnungszeiträume gesprochen wird. Denn der Sinn eines Durchrechnungszeitraums liegt darin, dass Mehrstunden, die innerhalb des Durchrechnungszeitraums durch Zeitausgleich ausgeglichen werden, eben ohne Zuschlag abgegolten werden. Wenn man zusätzlich davon spricht, Mehrstunden von einem Durchrechnungszeitraum in den nächsten zu übertragen, werden diese Mehr- und Überstunden zuschlagsfrei 1:1 ausgeglichen – oder eben gar nie, weil sie auf den Sankt-Nimmerleinstag verschoben werden.

Flexibilität darf keine Einbahn sein. Wo die Arbeitgeber die Beschäftigten kapazitätsorientiert einsetzen wollen, brauchen die ArbeitnehmerInnen als Ausgleich Selbstbestimmung, Planbarkeit und Verkürzung der Arbeitszeit.

Egal wie man’s regelt – überlanges Arbeiten macht krank. Egal, wie man überlange Arbeitszeiten konkret regelt, und egal, ob freiwillig oder unfreiwillig so lang gearbeitet wird: Überlanges Arbeiten ist schlecht für die Gesundheit, und freiwilliges langes Arbeiten ist nicht wirklich gesünder. Arbeitszeitgesetze sind Schutzgesetze – auch vor Selbstausbeutung!

Der ÖGB und seine Gewerkschaften werden in den nächsten Tagen über konkrete Protestmaßnahmen entscheiden. Wir zählen auf deine Beteiligung und Unterstützung!

 Mit gewerkschaftlichen Grüßen

 Wolfgang Katzian

Präsident des ÖGB